25.11.2020

Jahressteuergesetz 2020: Zivilgesellschaft fordert Rechtssicherheit

Die Antikorruptionsorganisation Transparency Deutschland, der Deutsche Fundraising Verband, der Deutsche Naturschutzring, der Deutsche Spendenrat, die Maecenata Stiftung, PHINEO und der Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (VENRO) fordern mehr Rechtssicherheit im Gemeinnützigkeitsrecht für eine selbstlose Beteiligung der Zivilgesellschaft an der politischen Willensbildung. Das Gemeinnützigkeitsrecht ist nicht mehr zeitgemäß und gehört grundlegend novelliert. Infolge der Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Attac hat sich die Lage für viele Organisation verschärft.

Der Finanzausschuss befasst sich in diesen Tagen mit dem Jahressteuergesetz 2020, dessen Verabschiedung durch den Bundestag bereits zum zweiten Mal verschoben wurde. Eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts muss die Zivilgesellschaft stärken und es gemeinnützigen Organisationen explizit erlauben, sich politisch zu äußern und die eigenen Zwecke auch überwiegend oder ausschließlich mit politischen Mitteln zu verfolgen.

Hartmut Bäumer, Vorsitzender von Transparency Deutschland, sagt: „Wir brauchen engagierte Bürgerinnen und Bürger, die unsere Gesellschaft zusammenhalten und wo nötig den Finger in die Wunde legen. Der Verlust der Gemeinnützigkeit ist für die meisten Organisationen existenzbedrohend, nicht nur aufgrund der damit verbundenen Steuervorteile. Eine Schwächung der Zivilgesellschaft können wir uns nicht leisten – das gilt in besonderem Maße in Krisenzeiten.“

Engagierte Bürgerinnen und Bürger wachen über unseren Rechtsstaat – das ist Konsens aller demokratischen Parteien. Dass sich zivilgesellschaftliche Organisationen aktiv am politischen Willensbildungsprozess beteiligen, ist grundsätzlich also im Sinne des Gemeinwohls.


„Die moderne Demokratie bedarf offenkundig einer Weiterentwicklung. Dass populistische, autoritäre Anführer in demokratischen Verfahren Macht übernehmen können, sollte Warnung genug sein! Eine starke, unabhängige dritte Kraft neben Staat und Wirtschaft ist eine Verteidigerin der partizipativen Demokratie, nicht ihre Gegnerin. Ihr den Rahmen zu bieten, den sie verdient, muss unser Ziel sein“, so Dr. Rupert Graf Strachwitz, Vorstand der Maecenata Stiftung.


Drei Kernforderungen für mehr Rechtssicherheit

Um Rechtssicherheit für politisches Engagement seitens der Zivilgesellschaft zu erreichen, fordern die Organisationen:

  1. Gemeinnützigen Organisationen muss es explizit erlaubt sein, die eigenen Zwecke auch überwiegend oder ausschließlich mit politischen Mitteln zu verfolgen. Dabei muss das Abstandsgebot zu Parteien gewahrt bleiben. Parteien und gemeinnützige Organisationen können durch konstruktiven Dialog über gesellschaftliche Probleme und mögliche Lösungsansätze voneinander profitieren.
  2. Um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, muss es ermöglicht werden, dass sich gemeinnützige Organisationen punktuell für andere als die eigenen gemeinnützigen Zwecke engagieren können, z. B. wenn sich ein Karnevals- oder Sportverein an einer Aktion gegen Rassismus und für Toleranz beteiligen möchte.
  3. Der Katalog der gemeinnützigen Zwecke muss erweitert werden. So sollte insbesondere der Einsatz für Menschen- und Bürgerrechte in die Abgabenordnung aufgenommen werden.


Zivilgesellschaft findet eigene Lösungen – Öffnung der ITZ

Aufgrund der andauenden Rechtsunsicherheit und in Solidarität mit den betroffenen Organisationen hat sich die Initiative Transparente Zivilgesellschaft (ITZ) im Juni 2020 zivilgesellschaftlichen Organisationen ohne offiziellen Gemeinnützigkeitsstatus geöffnet. Jede zivilgesellschaftliche Organisation kann jetzt bei der ITZ mitmachen, wenn sie sich für das Gemeinwohl engagiert, nicht gewinnorientiert arbeitet und die Menschen- und Bürgerrechte achtet. Die ITZ hat für diese Organisationen eine neue Zugangsprüfung mit einer Reihe von Kriterien entwickelt. Im Rahmen der ITZ haben sich inzwischen rund 1.400 zivilgesellschaftliche Organisationen freiwillig zu mehr Transparenz verpflichtet.

Hintergrund

Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Jahressteuergesetz (JStG) 2020 haben die Finanzministerinnen und -minister der Länder im September 2020 Änderungen im Gemeinnützigkeitsrecht angestoßen. Die Fragen zu Gemeinnützigkeit sind innerhalb der großen Koalition jedoch strittig. Nach dem Bundestagsbeschluss erfolgt eine Abstimmung im Bundesrat. Anscheinend blockiert die CDU-/CSU-Fraktion die geplanten Änderungen. Inzwischen haben sich zahlreiche Organisationen, Dachverbände und Initiativen für eine Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts und Rechtssicherheit für politisches Engagement seitens der Zivilgesellschaft ausgesprochen, unter anderem die in der „Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ rund 180 Organisationen.

Forderungen zum Gemeinnützigkeitsrecht von zwölf Dachverbänden und Netzwerken vom 4. November.2020 (PDF)

 

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