Humanitäre Hilfe
Humanitäre Hilfe hat zum Ziel, Leben zu retten und menschliches Leid zu lindern. Durch humanitäre Hilfsmaßnahmen werden Menschen unterstützt, die aufgrund von Krisen, Kriegen und Naturkatastrophen in Notlagen gedrängt werden. Humanitäre Hilfe richtet sich nach den humanitären Prinzipien der Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und Neutralität. Sie wird allein basierend auf humanitären Bedarfen umgesetzt, also unabhängig von der ethnischen, religiösen, sexuellen oder politischen Zugehörigkeit der Betroffenen.
Laut Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) sind im Jahr 2024 ca. 300 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Auswirkungen des Klimawandels, wachsende Ernährungsunsicherheit und die anhaltende Wirtschaftskrise verschärfen humanitäre Notlagen auf der ganzen Welt. Die aktuellen Entwicklungen im Gazastreifen, im Sudan, in Jemen, der Demokratischen Republik Kongo und in der Ukraine zeigen die große Not der Menschen und die Notwendigkeit humanitärer Unterstützung. Erstmals seit Jahren haben Armut und Hunger auf der Welt zuletzt wieder zugenommen. Frauen, Kinder und marginalisierte Gruppen sind hiervon besonders betroffen. Besorgniserregend ist auch die erhebliche Lücke zwischen humanitären Bedarfen und finanziellen Mitteln. Im vergangenen Jahr reichten die bereitgestellten humanitären Mittel bei weitem nicht aus, um den immensen Bedarf zu decken. Die humanitären Bedarfspläne von OCHA waren 2023 nur zu etwa 35 Prozent gedeckt. Dieser Trend wird sich voraussichtlich auch in diesem Jahr fortsetzen.
Angesichts dieser Entwicklungen bleibt die Schaffung eines effektiveren und effizienteren humanitären Systems eine dringliche Aufgabe für die internationale Gemeinschaft. Dies wurde bereits auf dem ersten Humanitären Weltgipfel im Mai 2016 deutlich. Seither wurden weltweit von Regierungen, UN-Organisationen, internationalen, nationalen und lokalen Nichtregierungsorganisationen sowie weitere Akteur_innen eine Vielzahl von Prozessen angestoßen, um die humanitäre Hilfe wirkungsvoller zu gestalten. Der Grand Bargain, ein einzigartiges Abkommen zwischen Geber_innen und humanitären Organisationen, hat sich inzwischen zu einem wichtigen Pfeiler des humanitären Systems entwickelt. Der auf dem Jahrestreffen 2021 von den Unterzeichnenden beschlossene Grand Bargain 2.0 mit seinem Fokus auf lokal geführte humanitäre Hilfe und Qualität der Finanzierung soll helfen, die gemeinsamen Anstrengungen zu intensivieren, um Menschen in Notsituationen besser und gezielter unterstützen zu können. Auf dem Jahrestreffen 2023 wurde der „Grand Bargain beyond 2023“ beschlossen, der die beiden bisherigen Schwerpunkte um weitere Aspekte ergänzt – nämlich die Beteiligung von Betroffenen, den Nexusansatz und innovative Ansätze wie vorausschauende humanitäre Hilfe.
Auch Deutschland hat sich verpflichtet, zur Verbesserung des internationalen humanitären Systems beizutragen, etwa durch Fortführung seines Engagements im Rahmen des Grand Bargain. Deutschland hat sich inzwischen als zweitgrößter humanitärer Geberstaat positioniert. Mit Blick auf den stetig steigenden humanitären Bedarf sind die finanziellen Zusagen der Bundesregierung ein wichtiges Zeichen für internationale Solidarität.
Flucht und Vertreibung
Laut UNHCR sind mehr als 120 Millionen Menschen derzeit auf der Flucht vor Kriegen, Gewalt, Naturkatastrophen, Hungersnöten und Verfolgung. Diese Menschen riskieren häufig ihr eigenes Leben und das ihrer Familie, um einen sicheren Ort zum Leben zu finden. Die Datenanalysen der Beobachtungsstelle für Binnenvertriebene (IDMC) zeigen, dass die Zahl der Menschen, die in ihrem eigenen Land vertrieben wurden, in den letzten fünf Jahren um 50 Prozent gestiegen ist. Ende 2023 erreichte die Zahl der Binnenvertriebenen einen neuen Höchststand von 75,9 Millionen Menschen, insbesondere die Konflikte und Gewalt im Sudan, in der Demokratischen Republik Kongo und in Palästina trugen zu diesem Anstieg bei. Mehrere Millionen Menschen suchen Schutz in anderen Ländern, häufig in Nachbarstaaten – meist selbst Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen, die von eigenen Konflikten oder Katastrophen geprägt sind. Zahlreiche Menschen machen sich aber auch auf den Weg nach Europa. Dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) zufolge sind 2023 schätzungsweise 2.800 Menschen bei dem Versuch, Europa über das Mittelmeer per Boot zu erreichen, ums Leben gekommen oder werden vermisst. Deutschland trägt auf europäischer und globaler Ebene Verantwortung, sich für den Schutz von geflüchteten Menschen einzusetzen und die Weichen für eine staatlich organisierte Seenotrettung zu stellen.
VENRO-AG Humanitäre Hilfe
Die humanitäre Hilfe ist ein eigener Arbeitsbereich bei VENRO. Die Arbeitsgruppe Humanitäre Hilfe arbeitet sowohl zu politischen als auch zu konzeptionellen und operativen Themen. Im Fokus steht der enge Dialog mit dem Auswärtigen Amt, auch im Rahmen des Koordinierungsausschusses für Humanitäre Hilfe (siehe unten), sowie mit dem Ausschuss Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestags. Der interne Fachaustausch zur Weiterentwicklung der humanitären Hilfe ist ein weiterer wichtiger Arbeitsbereich. VENRO leistet einen Beitrag, um die Qualität der Arbeit der Mitgliedsorganisationen in der humanitären Hilfe weiter zu verbessern, unter anderem im Rahmen eines Fortbildungsprojekts (siehe unten). Internationale humanitäre Prozesse werden vor allem über die Mitgliedschaft im International Council of Voluntary Agencies (ICVA) mitgestaltet.
Aktuelle Themenschwerpunkte für die Arbeitsgruppe sind die Förderung eines verstärkt lokal geführten humanitären Systems, die Stärkung des humanitären Völkerrechts, die Auswirkungen von Terrorismusbekämpfung und Sanktionsregimen auf humanitäre Arbeit, die Finanzierung humanitärer Hilfe sowie die Vereinfachung von Förderbedingungen. Außerdem beschäftigt sich die Arbeitsgruppe mit den Auswirkungen des Klimawandels auf humanitäre Krisen und Hilfsmaßnahmen sowie mit der besseren Verknüpfung zwischen humanitärer Hilfe, friedensfördernden Maßnahmen und Entwicklungszusammenarbeit (Triple-Nexus).
Koordinierungsausschuss für Humanitäre Hilfe
Der Koordinierungsausschuss für Humanitäre Hilfe ist ein wichtiges Gesprächs- und Abstimmungsforum zwischen Bundesregierung, humanitären Nichtregierungsorganisationen und weiteren deutschen humanitären Interessensgruppen. Der Koordinierungsausschuss dient der Diskussion operativer und konzeptioneller Fragen der deutschen humanitären Hilfe. VENRO hat gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt den Vorsitz inne. Jährlich finden mehrere reguläre Sitzungen sowie eine Klausurtagung statt. Darüber hinaus finden krisenbezogene Sondersitzungen aus aktuellen Anlässen statt.
Aktuelle Themen im Koordinierungsausschuss sind die Umsetzung des Grand Bargain und die Stärkung lokaler humanitärer Akteur_innen, die Auswirkungen des Klimawandels auf die humanitäre Arbeit und vorausschauende humanitäre Hilfe. Zudem werden langanhaltende humanitäre Großkrisen, aber auch humanitäre Notlagen, die weniger mediale/öffentliche Aufmerksamkeit erhalten, im Koordinierungsausschuss thematisiert. Hierzu zählen unter anderem die Sahelregion, Sudan sowie Afghanistan.
Fortbildungsprojekt
VENRO setzt gemeinsam mit dem Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht der Ruhr-Universität Bochum ein Fortbildungsprojekt um, das finanziell vom Auswärtigen Amt unterstützt wird. Im Rahmen des Projekts werden Fortbildungen und Onlineseminare zu drei humanitären Schwerpunktthemen angeboten: Lokal geführte humanitäre Hilfe, vorausschauende humanitäre Hilfe und grüne/nachhaltige humanitäre Hilfe. Das Projekt leistet einen Beitrag, die Kapazität deutscher humanitärer Nichtregierungsorganisationen und ihrer Partner_innen zur Bewältigung aktueller humanitärer Herausforderungen zu stärken.
Das Fortbildungsangebot richtet sich an deutsche humanitäre Nichtregierungsorganisationen und lokale und nationale Nichtregierungsorganisationen in den betroffenen Ländern. Die Fortbildungen stehen auch Nicht-VENRO-Mitgliedern offen und werden im Servicebereich unter Fortbildungen und Online-Seminare angekündigt. Die Teilnehmenden haben die Möglichkeit, sich ihre Teilnahme an ausgewählten Veranstaltungen zertifizieren zu lassen und nach Bedarf ein „Certificate of Advanced Studies“ (10 ECTS) zu erhalten. Das Projekt leistet einen Beitrag zur Professionalisierung der humanitären Hilfe im deutschsprachigen Raum und verbessert somit die Qualität der humanitären Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen und deren Partner_innen.
Eine Auswahl an aufgezeichneten Onlineseminaren sowie interaktiven Lernvideos veröffentlichen wir regelmäßig auf unserer E-Learning-Seite. Dort finden sich beispielsweise Videos zu Security Risk Management, partizipativer Datenerhebung, Korruptionsprävention, Remote Programming, Protection Standards oder Fürsorgepflichten von NRO.
LOCALliance: NROs für eine gerechte humanitäre Hilfe
LOCALliance ist eine Partnerschaft von fünf nationalen NRO-Netzwerken, die die Grundlage für eine nachhaltigere und lokalisierte humanitäre Hilfe in fünf Ländern schafft: in der Demokratischen Republik Kongo, in Frankreich, Deutschland, Pakistan und im Jemen. Die Arbeit des Konsortiums kann als Modell für den Paradigmenwechsel dienen, der von den Akteur_innen der humanitären Hilfe sowohl im Globalen Süden als auch im Globalen Norden seit Langem erwartet wird.
Lokale Gemeinschaften und Akteur_innen müssen in den Mittelpunkt der Entscheidungs- und Koordinierungsmechanismen gestellt werden. Nur so kann der internationale humanitäre Sektor inklusiv, gerecht und effizient gestaltet werden. LOCALliance wird sich daher auf die Entwicklung effizienter lokaler Strukturen, die Unterstützung und Verbesserung politischer Strategien und Maßnahmen, die Entwicklung und Umsetzung neuer Finanzierungsmodelle und die gemeinsame Nutzung von Kapazitäten und Ressourcen konzentrieren.
Die Partnerschaft steht im Einklang mit den Zielen des Grand Bargain und soll die Rolle der nationalen Referenzgruppen bei der Gestaltung der humanitären Hilfe stärken.
Mitglieder dieser Koalition sind: CCONAT aus der Demokratischen Republik Kongo, National Humanitarian Network aus Pakistan, Localization Initiative aus dem Jemen und Coordination SUD aus Frankreich sowie der deutsche Dachverband VENRO.
Weitere Informationen zum Thema humanitäre Hilfe und zur Arbeitsgruppe finden Sie auf unserem Blog sowie im internen Bereich.
Ansprechperson für die Arbeitsgruppe und den Koordinierungsausschuss ist Maya Krille (m.krille(at)venro.org). Bei Fragen zum Fortbildungsprojekt wenden Sie sich bitte an Karoline Krähling (k.kraehling(at)venro.org).